Auszüge aus Tanz Boas Antworten auf Fragen von Lesern der Zeitschrift
"Perplex" während 2014:
In Second Life 2007 vergab die Log-In-Software die
Nachnamen, und nur am Vornamen konnte man frei schrauben. Es wurde dann
dieser „Tanz Boa“ draus, den ich auch bei Twitter seit 12.7.2010 und bei
Facebook seit 5.10.2010 nutze. Second Life scheint eine Ausnahmestruktur
im Internet zu sein: Es läuft seit etwa 2009, nach dem Boom, gleichmäßig
vor sich hin. Die Betreiber nehmen keine Milliarden ein, aber ein paar
Millionen pro Jahr. Ich habe mitgebaut und mitgeflirtet (selber was
basteln können und Sex sehe ich als die zwei Standbeine dieser Welt) von
2007 - 2009.
Mein Avatar "Tanz Boa" ist ein aufwendig eingerichtetes, ausgespieltes
Spielzeug. Also sowas wie eine liebevoll eingerichte Puppenstube. Was
waren wir sauer, wenn ein Elter unsere Spielsachen vor der Zeit wegwarf,
in der wir diesen Wegwurf vielleicht beschlossen hätten! Also ich handhabe
dieses einmalige Spielzeug mit jener Haltung, mit der man Museen
einrichtet.
Sex in SL läuft über „Poseballs“. Da gibt es hunderte, von Küssen bis "Doggie".
Und da die meisten Avatare lecker aussehen, also richtige Horden von
weiblichen und männlichen Fotomodels treffen sich da, kommt eine
erstaunliche Wahrheit ans Licht, die von vielen Wortführern, von Priestern
bis Emanzen, niedergequasselt wird: Männlein und Weiblein passen, wenn sie
denn mal attraktiv aussehen, ganz wunderbar zusammen. Es gibt große
Unterschiede mit aufregenden Folgen. Klar ist das mit dem attraktiven
Aussehen eine Lüge. Aber insbesondere die Frauen blühen als Avatarinnen in
ihrem Verhalten auf, soweit ich das sehe. Monogam sind da nur noch
gefühlte 30 Prozent. Und sie vögeln gerne. Und die Geschlechtsunterschiede
werden nicht eingeebnet, sondern sind grell: Hier Macker, da Weib, auf
Augenhöhe zueinander.
Virtueller Sex in Second Life: Deine Partnerin sitzt woanders, aber sie
zickt und zuckt. Ein Pornofilm ist mechanisch gegenüber den
Überraschungen, gegenüber den Bagger-Anforderungen in SL. Der besondere
Kick ist erstens die Ehrlichkeit: Avatar-Frauen wagen sich virtuell
schneller ran und gehen verblüffend weiter als real. Zweitens dieses
Tasten-Tippen: Avatar-Profis schreiben Erotik-Dialoge live, und man kann
sein eigenes Gewäsch und das der Partner auch noch mal lesen.
Second Life ist preiswert. Ich habe pro Jahr dort etwa 30 Euro ausgegeben.
Richtige Luxusschnecken dürften auf 500 Euro im Jahr kommen. Da haben sie
dann Reichtümer wie einen eigenen Dschungel, 1000 Kleider, 20 Autos :-)
Ich traf nie jemanden, der die Monatsausgaben eines Kettenrauchers
erreichte. Also nie habe ich von finanziellem Ruin durch gerade Second
Life gehört.
Zum sozialen Ruin: Eine Second-Life-Grundstücksverwalterin erzählte mir,
sie habe Einblick in mindestens eine Ehe, deren beide Partner sich so weit
in Second Life hineingesteigert hätten, dass sie ihr reales Kind kritisch
vernachlässigten. Da möchte ich von „ruiniert durch Internet-Aufenthalt“
sprechen.
Ein Mensch, der seine Seele in Second Life platziert statt in der
Wirklichkeit, treibt dort so gut wie immer auch Handel. Das ergibt sich
fast zwangsläufig. Die zwei manischsten Menschen, die ich dort traf,
hatten pro Monat - mit 14 Stunden Präsenz pro Tag - dann auch einen knapp
vierstelligen Gewinn. Sie waren körperbehindert oder arbeitslos und hatten
eben diese Zeit. Ich traf daneben eine im bürgerlichen Leben wohl
wohlhabende Mittelschicht an, die sich von solchen manischen Nutzern
schöne Fantasiegebilde schaffen ließ. So war ich in einer umfangreichen
Wildwest-Welt zu Gast, deren zehn Teilhaber jeder etwa 80 Euro im Monat
hineingaben. Diese „80 Euro“ halte ich für das Maximum, das ein Besucher
dort lässt. Eine andere Sache waren 2007 die Unternehmen. Die verheizten
Zehntausende von Euro, weil sie sich nicht auskannten und von eiligen
Start-Ups abkassiert wurden. Für einen - allerdings fachkundigen -
Unternehmer aus der Schweiz arbeitete ich auch ein wenig. Der hatte für
ein Jahr Ausgaben von monatlich 3000 DM. Dann bilanzierte er: Dieser Markt
der ersten virtuellen Welt tickt anders und wirft keinen schnellen Gewinn
ab. Er zog sich schlagartig zurück.
In Second Life gibt es eine mit realem Geld konvertierbare Währung, den
Linden Dollar. 1000 LD waren 2007 etwa 3 Euro. Also für 10 Euro konntest
ein Avatar virtuell gewaltig prassen. Die CIA griff dann auch 2008 mal
ein, da über SL Geld gewaschen wurde. Die Teilnehmer zahlen an erster
Stelle für „privates Land“, also Platz in den Servern der Firma. Als
zweites gibt es den Handel zwischen den Schöpfern: In SL kann man ja Dinge
und Kleidung selbst gestalten. Die lassen sich gegen LD anbieten - und
manche Schöpfer verdienen da eben.
Also man kann sich in Internet-Angeboten verlieren, E-Bay, Facebook und
vergleichbar auch Second Life. Ich unterstelle, dass das Charakteren
passiert, die denen nahestehen, die sich in Glücksspielhallen (bei mir um
die Ecke gibt es acht) verlieren.
Second Life hat Deutschland nach dem Hype, der hier maximal falsch lief,
wie eine heiße Kartoffel fallengelassen. Im Rest der Welt tickt es weiter
vor sich hin. Soeben hat sich eine Gruppe bei Facebook gegründet (LEA
Linden Endowment for the Arts), die sich gezielt um den Kunstaspekt dieser
Software kümmert - man baut ja alles selbst, sich und die Welt - da ist „Minecraft“
schwach dagegen. In den Jahren 2007-2009, wo ich da zugange war, habe ich
Werke von Unbekannten entstehen und wieder vergehen gesehen, die die
derzeitigen realen Museumspräsentationen in den Schatten stellen. Die
Roboter der Betreiberfirma Linden Labs haben meinen Avatar dort 2009 wegen
eines Zahlungs-Hängers beinahe umgebracht, und seitdem ist die Unschuld
weg, mit der ich Second Life drei Jahre durchwanderte.
Die US-Ami-Konstruktion „Second Life“ hat ihre Tücken. Die Tücken sind
aber GERINGER als z.B. bei Facebook. Also man sollte wissen, was man einem
US-Ami-Unternehmen wie auch üblichen Kriminellen nicht gibt - Echtdaten
aus der Wirklichkeit und Kreditkartennummern.
In der Software ist Second Life ein Meisterwerk. Was da an grafischer Welt
online gezaubert wird, und MAN KANN VOLL SELBST BAUEN, reichte 2003
(Pilotprojekt) > 2007 (ich stieg ein) > und reicht heute noch 2014 über
alle sonstigen Angebote hinaus.
Der merkwürdige Ruf von Second Life ist auf Deutschland beschränkt.
Anderswo gucken die Leute blöd, von Brasilien bis Japan, wenn ein
Deutscher das Ding behandelt wie eine Scientology- Sekte. In Second Life
Geld zu verdienen, ist anstrengender als mit E-Bay. Gegen
Kinderpornografie genügten 2008 ein paar schlichte Filter. Second Life ist
ein Spiel-Land für Kreative und für Hässliche.
Ja, Hässliche, Behinderte, aus irgendeinem Grund ans Zimmer gefesselte:
Die entfalten sich wenigstens in Second Life. Dort starten alle Avatare
als schöne Menschen. Sie können sogar fliegen.
Aufgrund der Nachfrage eines Mitmenschen habe ich 2014 also zehn Minuten
nach eineinhalb Jahren Pause mal wieder in SL herumgestanden. Und war da
sehr unbeholfen. Also das ist schon eine Software, in die man sich
einarbeiten muss. Deren Nutzungsdetails ich deutlich vergessen habe.
Wenn ich jetzt über den nachgefragten Avatar „Franziskus N.“ etwas sage,
so ist das Verblüffende daran die Menge, die mit kurzer Recherche zu
erfahren ist. Allerdings hat man im Internet auch die Freiheit der
Frechheit, eine erlogene Person darzustellen...
Er wurde in SL geboren am 30.12.2007. Seine letzte Nachricht stammt vom
6.6.2013.
2013 hatte er eine eigene Insel. Von ihr gibt es einen Film auf Youtube -
gib das Suchwort "Village of Sarona" ein. Er scheint auf Jungs zu stehen -
zwei Sklaven, und er fühlt sich gut.
Er hat auch eine eigene Homepage mit einem Portrait von ihm in Second Life
als Held und als Rollenspieler, sowie mit vier Fotos der von ihm gebauten
Insel. Gib im Browser ein: http://fanziskus-second-life.blogspot.de/
Seine Lieblingsfilme Rocky Horror Picture Show, Priscilla - Queen of the
Desert, Diva, Hedwig and the Angry Inch, Notting Hill, ...
Seine Lieblingsmusik Techno, Dance, Ballads, Classic Rock, Classical, RnB
Seine Lieblingsbücher Anthony Burgess, Anne Rice, Kurt Vonnegut, Mary
Janice Davidson.
In seiner Begrüßung bittet er, dass man ihm Zeit zum Tippen lässt, weil er
das nur langsam könne, vor allem in Englisch.
Soweit, so schnelles unnützes Wissen über einen Menschen, mit dem ich mich
vom Internet-Profil her nicht unterhalten will.
Ich bin in der Bilanz aus Second Life 2010 friedlich und winkend „Macht´s
gut und danke für den Fisch“ (Zitat von Doug Adams) weggeblieben. Dass ich
am 21.12.2012 anlässlich des Maya-Weltungergangs mit zwei neugierigen
Künstlern nochmal einen Abend hineinhüpfte, und da gab es doch tatsächlich
noch Bekannte von einst, ist für mich ein Zeichen: Die Brücke darf
bleiben, ich muss da nix zerdöppern.
Ich bin bis jetzt verwundert, dass der Internet-Zug nicht Richtung
Second-Life-artigen Welten losgefahren ist. Nach meinem Gefühl ist das die
Zukunft. Einen Erfolg von Second Life und Nachfolgern haben vergleichbare
Marktmechanismen unterbunden, wie eben auch ein Teil der Menschen zu viel
arbeitet und der Rest arbeitslos ist, wie Schuhe nur ein Jahr und Computer
nur noch drei Jahre halten - ein weites Feld der Ramschwirtschaft und der
falschen Weichenstellung hin zu vielbeworbenem Leergut und unterdrücktem
Potential herrscht. Wir haben das Know-How zu einem halben Paradies, doch
die Aktionäre fordern: Welt, bleib mies. Sehr verkürzt ist das jetzt das
Drama der „Falschen Neuen Welt“ angesichts heutiger Möglichkeiten.
Also ich erwarte, dass wir 2025 in Gestik- und Mimikübertragenden Anzügen
stecken können und unsere Avatare lebensgroß durch virtuelle Welten
bewegen - in irgendwelchen Gewerbeparks oder auch zuhause. Und in Second
Life 2007 bis 2009 - bevor der Kommerz sich den Gegebenheiten anpasste,
bevor die Kontrolleure kapierten, was da abgeht - lief das in der Bilanz
positiv ab. Es wird vielleicht nie mehr positiv ablaufen, weil die
Wirklichkeit nun mal eine Gaunerwelt ist. Aber es gab eine gute Zeit da,
sowas wie 1968 bei den Hippies, was weiß ich.
Aus Second Life bin ich kontrolliert, also insgesamt verlustfrei,
ausgestiegen, nachdem die (es ist halt ein US-amerikanisches Unternehmen)
mich zu einer Zahlung zu zwingen versuchten mit „Ihr Avatar wird in zwei
Wochen ermordet“. Dank der Hilfe eines Second-Life-Profis konnte ich
meinen Tanz-Boa-Tod knapp verhindern, also echt 1 Tag vor dem Kill. Habe
dann meine Koffer gepackt, mein Spielgeld ausgegeben, und tschüss... außer
wenn eben eine Nachfrage aufgrund der Homepage www.tanzboa.de kommt, die
zum Thema "Second Life" im Netz steht - das ist jetzt das zweitemal nach
2010 passiert. Dann logg ich halt nochmal ein, stolpere rum, lasse aber
diesmal das Flirten sein. Ja, virtueller Sex war von 2007 bis 2009 echt
lustig. Die US-Amis haben dann aber ihren Imperialismus auch da
reingebrockt, mit Bezirken, die ganz auf Sex abzielen, und einem prüden
Rest. Wie grübelt der Hauptdarsteller im Film „Avatar“ so treffend: Was
können wir (US-amerikanische Verkäufer) einem fremden Planeten schon
bieten, außer Blue Jeans und kalorienfreie Cola?
Der Lindendollar von Second Life ist unkomplizierter als der Bitcoin. Von
der Absicht her ist der Lindendollar virtuelles Spielgeld und keine
digitale Währung für wirkliche Handelsgüter wie der Bitcoin. In der Praxis
versuchten wohl Gauner, Handel und Händel mit dem Lindendollar zum
Reichwerden in der Wirklichkeit zu nutzen. Aber das wurde bemerkt.
Der Lindendollar hat, soweit ich weiß, einen relativ stabilen Kurs. Also
2007 - 2009 schwankte der nur um etwa 20 Prozent. Die Firma Linden Labs
hat die Rolle der Bank ab 2008 selbst übernommen und konnte ab da Versuche
von Gaunern, mit dieser virtuellen Währung Geld zu waschen oder die Kurse
hoch- und runter- zu treiben, erfolgreich mattsetzen.
„Second Life“ kann man im Prinzip auch privat auf einem Server bauen - der
Code ist Open Source. Dann bleibt man Eigentümer seiner Inhalte. Es
gab/gibt auch entsprechende Vernetzungen im Internet - „Open Grid“ hieß
das damals. Den Leuten, die da Kunst machen, würde ich das anraten. Mir
bot einer mal „beliebig viele Prims“ auf seinem Server an. Aber das Ding
war schon sehr buggy. Und man hat erst mal kein Avatar-Publikum. Irgendwo
2025, wenn wir auch mit unseren Hausnetzen schnell uploaden können, richte
ich vielleicht einen kleinen Streaming Server ein („100 Leute können
zugleich erreicht werden“). Da werd ich eventuell schauen, ob für „Open
Grid“ ein Plätzchen ist. |